Die Festspielwochen um die Hauptversammlung (HV) der Artnet AG für das Geschäftsjahr 2023 sind um eine Wendung reicher. So hat der Großaktionär Weng Fine Art (WFA) um Vorstand Rüdiger K. Weng nun gerichtlich beantragt, die Artnet-HV für 2023 selbst einberufen zu dürfen. Versammlungsleiter soll Pascal Decker, der aktuelle Aufsichtsratsvorsitzende von Artnet, werden. Demnach könnte das Aktionärstreffen des Kunstdaten-Unternehmens Anfang 2025 stattfinden und womöglich für einschneidende Veränderungen sorgen. Eine krasse Entwicklung. Was war bislang geschehen? Am 10. Oktober 2024 hatten Vorstand und Aufsichtsrat von Artnet via Bundesanzeiger für den 18. November 2024 zur ordentlichen Hauptversammlung ins Berliner Auditorium Friedrichstraße geladen. Boersengefluester.de hatte (HIER) über die Tagesordnungspunkte berichtet.
Von strittigen Dauerthemen wie dem Vergütungssystem des Vorstands einmal abgesehen, dürfte Rüdiger K. Weng insbesondere Tagesordnungspunkt 5, Beschlussfassung über die Wahlen zum Aufsichtsrat, sauer aufgestoßen sein. Denn statt – wie von ihm erwartet – als Vertreter des größten Aktionärs für ein Aufsichtsratsmandat aufgestellt zu werden, setzten die Berliner die komplette Wiederwahl des bisherigen Kontrollgremiums auf die Agenda. Damit wären die Machtverhältnisse um Artnet-Gründer Hans Neuendorf erst einmal wieder vakuumiert worden. Am 13. November 2024, während der MKK Münchner Kapitalmarkt Konferenz, eskalierten die Dinge dann sukzessive öffentlich. Bezogen auf den zähen Prozess um den Einstieg eines strategischen Investors bei Artnet, blieb Rüdiger K. Weng weitgehend in der Deckung und ließ sich nicht in die Karten schauen. Mit Blick auf den nahenden Hauptversammlungstermin von Artnet wurde er dagegen bei seinem MKK-Vortrag um 10 Uhr schon deutlicher: „Ob die HV am 18. November wirklich stattfindet, steht in den Sternen.“
Prompt folgten einige inoffizielle Dementis aus Berlin, doch bereits am späten Nachmittag ließ Artnet die Katze aus dem Sack und strich die HV tatsächlich aus dem Kalender. „Die Absage der Hauptversammlung erfolgt vor dem Hintergrund, dass die in der Einberufung zum Abschlussprüfer der Gesellschaft für das Geschäftsjahr 2024 vorgeschlagene Wirtschaftsprüfungsgesellschaft der Gesellschaft mitgeteilt hat, für ein weiteres Prüfungsmandat nicht zur Verfügung zu stehen“, so die Begründung. Hintergrund: Nachdem die Artnet-Abschlüsse von 2002 bis 2022 von Ebner Stolz testiert wurden, war für das Geschäftsjahr 2023 Rödl & Partner erstmalig der verantwortliche Prüfer. Laut dem Ende August 2024 veröffentlichten Artnet-Geschäftsbericht 2023 haben sich die Prüferhonorare im Zuge des Wechsels von 220.000 auf 313.000 Euro erhöht.
Genaue Angaben sind insofern schwierig, weil in den 220.000 Euro noch 69.000 Euro für 2021 enthalten sind und es durchaus möglich ist, dass auf das Prüfungshonorar für 2023 ebenfalls nachträgliche Posten kommen. „Die Prüfungsdauer war länger als erwartet, da es sich um eine Erstprüfung handelte und zusätzliche Herausforderungen bei der Prüfung stark technologisch geprägter Unternehmen auftraten“, betont Artnet. Jedenfalls liegt die Vermutung nahe, dass die saftig gestiegenen Honorare ein Thema zwischen WFA und Artnet gewesen sind und Rödl & Partner am Ende deswegen die Reißleine gezogen hat. Sei es drum: Der für WFA entscheidende Punkt ist vielmehr, dass der Sachverhalt a) seit vielen Wochen bekannt war und b) der Abgang des Wirtschaftsprüfers keinesfalls ein schlagender Grund ist, um deswegen gleich die HV komplett zu verschieben.
Entsprechend verhärtet sind die Fronten. WFA argumentiert, dass Artnet in erster Linie Zeit gewinnen will, um die bestehenden Strukturen zu sichern. „Seit 2022 haben wir Dutzende Gespräche mit verschiedenen Vertretern der Neuendorf-Familie sowie der Verwaltung von Artnet geführt. In dieser Zeit sind mehrere Term-Sheets zu einer möglichen Zusammenarbeit unterzeichnet worden. Im Nachhinein haben sich aber all diese Gespräche als Teil einer Verzögerungstaktik von Hans Neuendorf herausgestellt“, sagt Rüdiger K. Weng. Auf der anderen Seite argumentiert Artnet-CEO Jacob Pabst, dass der Abschlussprüfer weiterhin von der ordentlichen HV gewählt werden soll, um die Zusatzkosten einer außerordentlichen Versammlung zu vermeiden. Nun: Tatsächlich dürfte die Absage der ordentlichen HV ebenfalls für erheblichen Extraaufwand sorgen, zumal sicher auch etliche Aktionäre ihre Reise nach Berlin bereits gebucht hatten.
Am Ende hinterlässt das ganze HV-Theater einen faden Eindruck bei Investoren. Umso wichtiger, dass mit dem Termin Anfang 2025 klare Verhältnisse geschafft werden. Bislang hat sich WFA an Artnet die Zähne ausgebissen, doch ewig wird sich Artnet den Realitäten nicht entziehen können und die Gemengelage wird eher noch ruppiger. Derweil gibt es eine interessante Neuigkeit aus der Politik, die beiden Aktienkursen helfen könnte: So hat der Bundesrat mit dem Jahressteuergesetz 2024 kürzlich die Wiedereinführung des von 19 auf 7 Prozent reduzierten Steuersatzes beschlossen. In Kraft tritt die Regelung zu Jahresbeginn 2025. „Der ermäßigte Steuersatz ist eine sehr gute Nachricht für den deutschen Kunsthandel. Damit entlastet die Bundesregierung unsere vielfältige Galerieszene und verbessert ihre Wettbewerbsfähigkeit“, sagt Kulturstaatsministerin Claudia Roth.
Inwiefern sich die Effekte hieraus womöglich schon beziffern lassen und den lang ersehnten wirtschaftlichen Turnaround beschleunigen, dürfte Rüdiger K. Weng mit Sicherheit auf der WFA-Hauptversammlung am 18. Dezember 2024 in Düsseldorf gefragt werden. Zudem will der Manager an dem Tag – was noch viel wichtiger ist – Details zur künftigen operativen Ausrichtung des Kunsthandelsunternehmens präsentieren. Auf der MKK in München ließ Weng nur vage durchblicken: „Wir werden uns durchgreifend anders aufstellen.“
Nachtrag. Am 28. November 2024 meldete die artnet AG:
“Die Artnet AG, der führende Online-Marktplatz und Informationsanbieter für den Kunstmarkt, hat in dieser Woche das offizielle Ausschreibungsverfahren gestartet, um Angebote von Wirtschaftsprüfungsgesellschaften einzuholen. Dieses Verfahren ist eine regulatorische Anforderung für börsennotierte Unternehmen. Im Anschluss an dieses Verfahren wird der Aufsichtsrat einen Wirtschaftsprüfer zur Genehmigung durch die Aktionäre auf der Hauptversammlung vorschlagen.
Angesichts der zeitlichen Anforderungen des regulatorischen Rahmens für das Ausschreibungsverfahren sowie der Einladungsfristen für die neu angesetzte Hauptversammlung hat Artnet in dieser Woche den Finanzkalender aktualisiert und die Hauptversammlung 2024 für Mitte Februar 2025 terminiert. Die Geschäftsführung der Artnet AG bedauert zutiefst, dass die diesjährige Hauptversammlung verschoben werden musste, und ist bemüht, eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft zu beauftragen und die Hauptversammlung 2024 so schnell wie möglich durchzuführen.”
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