Vermutlich ist es eine Art Berufskrankheit von boersengefluester.de: Als Finanzjournalist hören wir uns die Präsentationen zu den Jahres- und Quartalsergebnissen der Unternehmen immer auch mit Blick auf knackige Zitate der Vorstände an. Liest sich hinterher einfach fluffiger und bringt eine gewisse Authentizität in unsere Texte. Insofern waren wir beim Earnings-Call des Online-Reifenhändlers Delticom zur Vorlage des Geschäftsberichts 2023 zunächst ein wenig enttäuscht, denn Finanzchefin Melanie Becker hat in den ersten gut 20 Minuten ihres Vortrags derart viele Zahlen rausgehauen, dass für einprägsame O-Töne so gut wie kein Raum war. Fairerweise muss man allerdings dazu sagen, dass in dem von Montega organisierten Calls primär Investoren und Analysten anwesend sind, die graduell eben auch andere Schwerpunkte setzen als Finanzjournalisten.
Zudem hat Melanie Becker allen Grund, derart viele Kennzahlen zu versprühen: Zum einen kam der Geschäftsbericht aufgrund des Wirtschaftsprüferwechsels von PwC hin zu BDO mit rund drei Wochen Verspätung heraus, was einige Investoren vorab hat leicht nervös werden lassen und der Informationsbedarf auch deshalb besonders groß war. Eigentlich entscheidend ist jedoch wohl, dass Delticom aufgrund eines ungewöhnlich guten Abschlussquartals in vielen Disziplinen besser als vermutete Zahlen im Gepäck hat und diese auch entsprechend kommunizieren will. Nach den zeitweise doch sehr schwierigen und verlustreichen Jahren mit zweifelhaften strategischen Entscheidungen wie dem mittlerweile abgewickelten Handel mit hochwertigen Lebensmitteln (Gourmondo), sieht es bei Delticom nun also tatsächlich überraschend gut aus, wovon dann auch der Aktienkurs profitieren sollte.
Die wichtigsten Finanzdaten auf einen Blick | ||||||||
2017 | 2018 | 2019 | 2020 | 2021 | 2022 | 2023 | ||
Umsatzerlöse1 | 667,71 | 645,72 | 625,76 | 541,26 | 585,37 | 509,30 | 475,69 | |
EBITDA1,2 | 9,27 | 9,00 | -6,64 | 15,04 | 17,09 | 15,00 | 20,64 | |
EBITDA-Marge3 | 1,39 | 1,39 | -1,06 | 2,78 | 2,92 | 2,95 | 4,34 | |
EBIT1,4 | 2,04 | 1,09 | -42,05 | 5,36 | 7,06 | 4,22 | 11,52 | |
EBIT-Marge5 | 0,31 | 0,17 | -6,72 | 0,99 | 1,21 | 0,83 | 2,42 | |
Jahresüberschuss1 | 1,12 | -1,70 | -40,78 | 6,87 | 6,81 | 2,81 | 8,03 | |
Netto-Marge6 | 0,17 | -0,26 | -6,52 | 1,27 | 1,16 | 0,55 | 1,69 | |
Cashflow1,7 | 15,38 | -11,71 | -22,45 | 35,89 | 21,93 | -5,52 | 33,06 | |
Ergebnis je Aktie8 | 0,09 | -0,13 | -3,27 | 0,55 | 0,49 | 0,19 | 0,54 | |
Dividende8 | 0,10 | 0,00 | 0,00 | 0,00 | 0,00 | 0,00 | 0,00 |
1 in Mio. Euro; 2 EBITDA = Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen; 3 EBITDA in Relation zum Umsatz; 4 EBIT = Ergebnis vor Zinsen und Steuern; 5 EBIT in Relation zum Umsatz; 6 Jahresüberschuss (-fehlbetrag) in Relation zum Umsatz; 7 Cashflow aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit; 8 in Euro; Quelle: boersengefluester.de Wirtschaftsprüfer: BDO |
So kam der Umsatz 2023 in erster Linie nur deshalb um 6,6 Prozent auf 475,69 Mio. Euro zurück, weil die Hannoveraner neben dem klassischen Verkauf über eigene Shops wie reifendirekt.de auch auf Plattformen setzt, was zu einer teilweisen Verlagerung der Finanzströme führt. Statt der üblichen Umsatzerlöse mündet das bei Delticom in höheren Provisionserträgen. Das Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (EBITDA) macht jedenfalls einen deutlichen Sprung von 15,00 auf 20,64 Mio. Euro. Wesentliche Treiber hier sind ein günstiger Produktmix sowie die vielen Verbesserungen in den operativen Abläufen. Unterm Strich steht ein saftiger Zuwachs beim Jahresüberschuss von 2,81 auf 8,03 Mio. Euro – entsprechend einem Anstieg des Ergebnisses je Aktie (EpS) von 0,19 auf 0,54 Euro.
Eine interessante Veränderung gibt es auf der Passivseite der Bilanz: So hat die Gesellschaft 28,60 Mio. Euro aus der Kapitalrücklage entnommen, um damit die auftürmten Verlustvorträge zu kompensieren. Sinn und Zweck der Übung: Zur Hauptversammlung im Jahr 2026 könnte das Unternehmen damit erstmals seit 2017 wieder eine Dividende auf die Tagesordnung setzen. Zur Höhe der möglichen Ausschüttungsquote will sich CEO und Großaktionär Andreas Prüfer zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht dezidiert äußern. Grundsätzlich könnt es aber sein, dass ein Drittel des Gewinns künftig zur Ausschüttung eingesetzt werden soll, was den Titel in durchaus interessante Renditeregionen hieven würde – genauso wie es vor vielen Jahren (2009 bis 2012) schon einmal war.
Für das laufende Jahr rechnet Finanzchef Melanie Becker mit Erlösen in einer Bandbreite von 450 bis 470 Mio. Euro sowie einem operativen EBITDA – Einmaleffekte sind in dieser Kennzahl ausgeklammert – zwischen 19 und 21 Mio. Euro (Vorjahr: 21,8 Mio. Euro). „Wir haben in unseren Planungen konservative Annahmen zugrunde gelegt“, sagt Becker. Sprich: Weder eine grundsätzliche Marktbelebung noch positive Witterungseinflüsse in Form eines besonders guten Geschäfts mit margenstarken Winterreifen sind in den Planzahlen eingearbeitet. Selbst wenn EBITDA und EBIT möglicherweise 2024 ungefähr auf Vorjahresniveau ankommen werden, unterm Strich wird das Ergebnis vermutlich zurückgehen, denn die Steuerquote dürfte von knapp 21 Prozent Richtung Normalmaß von 30 bis 32 Prozent steigen. Nun: Fürchterlich groß werden die Effekte vermutlich nicht sein. Wir betonen den Effekt an dieser Stelle nur, um einer möglicherweise zu großen Erwartungshaltung an künftige EpS vorzubeugen.
Mehr erwarten dürfen Aktionäre indes in Sachen Investor Relations-Aktivitäten, wie Finanzchefin Melanie Becker verspricht: „Wir werden wieder mehr ans Konferenzen teilnehmen.“ Im Mai steht etwa eine Roadshow mit Montega an. Summa summarum wird die Delticom-Aktie auf schuldenfreier Basis derzeit nur etwa mit dem knapp 4,5fachen des für 2024 zu erwartenden operativen EBITDA gehandelt. Viel günstiger geht es wohl kaum, zumal auch das klassische KGV bei deutlich unter 5 liegt. Keine Frage: Viele Investoren stehen bei Delticom noch an der Seitenlinie und warten ab, wie nachhaltig der Ergebnisumschwung ist. Für risikobereite Investoren ist der Titel aber schon jetzt eine Überlegung wert. Das Potenzial ist enorm. Die Analysten von Metzler Research etwa haben ihr Kursziel von 2,50 auf 3,90 Euro heraufgesetzt – bleiben interessanterweise aber bei ihre Halten-Einschätzung.
Foto: Unsplash+
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